Morgen, am 19. September, findet weltweit der dritte offizielle Weltaufräumtag - Cleanup Day - statt. Nachdem in Ägypten das Wochenende bereits freitags beginnt, hat man hier den Weltaufräumtag auf den 18. vorverlegt, aber auch am 19. finden noch verschiedene Aufräumaktionen statt. 2018 wurde dieser Tag offiziell ins Leben gerufen. Seit 2008 gibt es dank der Initiative "Let's do it" immer wieder Aufräumtage, seit 2018 regelmässig jeden dritten Samstag im September. Vorrangig geht es um das Sammeln von Plastik. In Alexandria veranstaltet "Banlastic" eine Aktion am Strand "Al Anfushi" in Bahayra. Sie beschreiben auf ihrer Facebookseite, dass die Strände von Alexandria Sammelbecken für Plastikmüll sind. Und das nicht nur für den Müll, den die Ägypter selbst ins Wasser werfen. Wind und Strömung treiben aus dem Mittelmeer Plastikreste an Alexandrias Strände zusammen.
Ein weiteres Problem hinsichtlich Umweltverschmutzung sind Zigarettenkippen. Eigentlich ist es traurig, dass es so Aufräumtage überhaupt geben muss. Es wäre einfacher, wenn jeder seinen Müll umweltgerecht entsorgt und nicht einfach in das Wasser oder auf die Strasse würfe. Aber das Verständnis dafür fehlt, und ich stehe dem auch ohnmächtig gegenüber. In Dahab sitzen Menschen im Café direkt am Meer, öffnen die Wasserflasche und werfen den Plastikverschluss direkt ins Wasser. Der Fahrer, der mich von Dahab nach Hause bringt, trinkt seine Safttüte und wirft sie danach während der Fahrt aus dem Fenster. Mein Kommentar dazu wird nur belächelt. Einige Jahre zuvor sprach ich Menschen darauf noch an, das habe ich inzwischen aufgegeben. Seit dem letzten Jahr sollte es in Dahab eigentlich gar keine Plastiktüten und Plastikverpackungen mehr geben, aber durch Corona hatte sich das leider wieder geändert. Ein Taxifahrer, der seinen Dreck auf die Strasse warf, kommentierte meine Aussage "die Strasse ist doch kein Mülleimer" grinsend mit "der andere hat das aber auch gemacht". Der Blogartikel und Buchtitel "Vorleben und die Klappe halten" entstand unter anderem durch solche Erlebnisse. Dass das jedoch keine ägyptische Unart, sondern ein weltweites Problem ist, dokumentiert derzeit eine aktuelle ZDF-Sendung "Plan B". Hier werden kreative Lösungsansätze gegen Plastik in Meer und Flüssen aufgezeigt. Als Beispiel dient hier Südostasien, die Müllsammelboote, die von einem Kieler entwickelt wurden, im Einsatz haben. Frankreich versucht, der Ölschicht auf dem Wasser Herr zu werden mit Schläuchen aus Haar-Resten aus Friseurläden, die völlig ökologisch Öl absorbieren. Und es heisst auch Welt-Aufräumtag und nicht Ägypten-Aufräumtag.
Ganz habe ich die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben.
Auf die Initiative hat mich Asmaa, eine Freundin aus Alexandria, die ich in Dahab kennen lernte, aufmerksam gemacht. Sie ist Anfang 20 und ihr ist die Aktion wichtig. Wichtig, sich zu zeigen, wichtig, dabei zu sein, wichtig, den eigenen Lebensraum sauber zu halten. Wichtiger, als mit mir Kaffee trinken zu gehen.
"Komm mit", sagt sie "und schreib in Deinem Blog etwas darüber". Sie muss mich nicht lange überzeugen, und so sind wir dann heute um 16.00h am Al-Anfushi-Strand zur Aufräumaktion, veranstaltet durch Banlastic, verabredet. Angeblich werden 100 Leute erwartet, ich bin gespannt!
Banlastic Egypt wurde 2018 von den Ingenieuren Manar Ramadan und Ahmed Yassin und dem Betriebswirtschaftler Abdelkader Alkhaligi gegründet. Ihr Slogan ist "Reduce - Reuse - Recycle", es geht um das Reduzieren von Plastikmüll. Erreichen wollen sie dieses durch Aufklärung und die Entwicklung von biologischen Verpackungsalternativen.
Etwas aufgeregt sitze ich dann kurz vor vier im Taxi, an der Corniche geht es am Meer entlang, an der Zitadelle vorbei und kurz danach stehe ich an dem vereinten Treffpunkt. Ich gehe einen Weg durch zwei Café-Hüttchen durch an einen öffentlichen Strand. Asmaa sehe ich schon von Weitem winken. Sie steht inmitten einer Traube von jungen Leuten, die alle eine grüne Weste mit dem Banlastic-Logo und dem Sponsor "Banque du Caire" tragen. Alle sind freundlich, und wir kommen gleich ins Gespräch. Welche Nationalität ich denn hätte, und man wäre auch schon in Deutschland gewesen, und der Vater hätte umweltfreundliche Baumwolltaschen nach Deutschland exportiert. Sprachs und zeigt stolz eine Mehrwegtasche von Apollo-Optik. Schnell stellt sich heraus, dass Asmaa nicht nur Teilnehmerin ist, sie ist auch Gruppenleitung von Gruppe 4. Zirka 15 junge Leute und ich, mit Abstand die Älteste, bilden unsere Gruppe, stehen im Kreis und stellen sich vor. Mit Namen und ihrer Motivation. Fast alle leben in Alexandria, lieben ihr Land und möchten aktiv etwas für Umweltschutz tun. Engagierte junge Leute um die zwanzig mit genau der Energie, etwas in Schwung zu bringen und positiv zu verändern. Auch ich stelle mir vor und kann mit meinen Sprachkenntnissen mitteilen wer ich bin, und dass ich neugierig bin und Asmaa mich eingeladen hat und ich gerne helfe. Auch ich bekomme eine grüne Weste und bin damit Teammitglied. Jeder bekommt einen Handschuh und einen Müllsack, ich ergattere eine halbe kleine Wassergallone, die mit Zigarettenkippen zu füllen ist. Mohammed von der Initiative "Let's do it" ist clever und hat eine Harke dabei. Da spricht die Erfahrung. Ich wate mit meinen Sandalen durch den heissen Sand und bücke mich für jede Zigarettenkippe.
Kleine Plastikverschlüsse und Plastikbesteck, oft zerbrochen, sammle ich gleich mit und tausche die bei meinen Kolleginnen gegen Kippen, die sie mitgesammelt haben. Die offizielle Temperatur sind 32 Grad, wie warm es am Strand in der Sonne wirklich ist, will ich gar nicht wissen. Nach einer halben Stunde bücken aufstehen bücken aufstehen verfluche ich jeden, der jemals eine Kippe in den Sand gedrückt hat. Nach einer knappen Stunde wird mein Kreislauf wackelig und ich möchte etwas trinken. Wir posieren für die YouTube-Dokumentation, und ich zeige stolz mein Ergebnis. Asmaa schickt mich zu den kleinen Tischen, an denen HelferInnen die vollen Säcke und Kippen entgegen nehmen. Ich möchte nur einen Schluck Wasser, den ich dann auch bekomme. Ich setze mich ein paar Minuten dazu und erfahre, dass das gesammelte Plastik gewogen wird. Je nach Gewicht werden Punkte vergeben, die gegen Baumwolltaschen, Holz-Einwegbesteck, Süssigkeiten und gegrillten Mais getauscht werden können. Einer der
jungen Burschen hat 17,8 kg Müll eingesammelt. Für meine weit über hundert Kippen erhalte ich 30 Punkte. Noch nie habe ich mich so sehr über eiskalten gesüssten Karkardi (Hibiskussaft) gefreut und wollte erfrischt gehen, bis ich erfuhr, dass Karkardi nur fünf Punkte sind und ich noch 25 Punkte einlösen könne. Ich entscheide mich für zwei Baumwolltaschen und verschenke einen Becher Karkardi.
Wohin mit dem Plastik?
Nach und nach trudeln immer mehr an den Rückgabetischen ein. Eine Gruppe bringt sogar ein altes Fischernetz, in dem sich allerlei Unrat verheddert hat. Ich frage einen der Helfer, was sie mit dem ganzen Plastik machen. Und da zeigt sich dann die Grenze so einer Aktion. Es gibt keinen Wertstoffhof oder ähnliches, zu dem man das Plastik offiziell bringen könne. Daher kooperiere man mit einer gemeinnützigen Initiative, die aus dem Müll Kunstobjekte macht.
Den arabischen Namen konnte ich mir beim besten Willen leider nicht merken. Am Strand konnte, wer Lust hatte, gleich damit anfangen. Aus Flaschenverschlüssen und Kippen wurden Bilder geklebt. Das ist zwar ganz hübsch, aber sicherlich keine Dauerlösung. In der Sendung "Plan B" wurde berichtet, dass es derzeit Forschungsprojekte gäbe, aus Plastik wieder Öl oder zumindest eine Art Ölgemisch zu machen.
Obwohl wir alle durch die Wärme erschöpft waren, hatten wir viel Spaß und ich hatte sehr interessante Begegnungen. Viele der jungen Leute waren schon etliche Jahre dabei. Die Jahre zuvor beispielsweise in Sahel an der Nordküste. Da sei es viel einfacher gewesen, denn der öffentliche Strand in Alexandria sei schon sehr vermüllt. Gegen halb sechs füllte sich der Strand dann auch mit Besuchern und Badegästen. Es wurden zudem Plastiktische und -stühle aufgestellt. Unsere Initiative wurde argwöhnisch beäugt, ins Gespräch kam niemand. Lediglich die kleinen Kinder fanden es toll und halfen beim Einsammeln. Dass aber Kinder im Kindergartenalter Zigarettenkippen einsammelten, fanden wir jetzt aber nicht ganz so toll. Etwas enttäuscht war ich beim traumhaft schönen Sonnenuntergang, dass man dem Strand eigentlich gar nicht ansah, dass fünf Gruppen
engagierter junger Leute zwei Stunden lang in der Hitze Plastik aufgehoben hatten. Für den Strand war es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Man riet mir auch ab, ins Wasser zu gehen. Auf der Oberfläche gäbe es einen leichten Ölfilm und man sei sich nicht sicher, ob nicht auch Abwasser ins Meer geleitet würde.
Von dem Tag war ich dennoch begeistert, denn ich traf das schöne, motivierte, engagierte Ägypten. Und konnte diesmal allen neuen Bekannten gerne glauben, wenn ich mit "es war schön, Dich getroffen zu haben" strahlend verabschiedet wurde. Ägypten braucht meines Erachtens viel mehr solcher Initiativen und sollte die Energie der jungen Leute positiv nutzen. Wie wäre es denn, wenn jede Schulklasse einmal im Monat eine Aufräumstunde am Strand machen würde? Um Bewusstsein zu schaffen und um zu merken, dass das, was man weg wirft, nicht weg ist, sondern mühsam aufgeräumt werden muss. Ich werde jedenfalls nie wieder meine gelegentliche Urlaubszigarette im Sand am Strand lassen.
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