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Autorenbild@Nika

Summ summ summ

Zur Recherche auf der SEKEM-Farm in Ägypten


Der Uber-Fahrer bleibt stehen und schaut etwas hilflos. Wir stehen auf einem Sandweg, umgeben von Feldern und Bananenstauden. Und es geht nicht weiter. Wir sind auf dem Weg zur SEKEM-Farm zur Recherche über altägyptische Bienen.


Die SEKEM-Initiative wurde 1977 von Dr. Ibrahim Abouleish gegründet. Sie setzt sich für nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung, Gesundheit und Kultur ein und verfolgt das Ziel, Mensch und Natur in Ägypten in Einklang zu bringen. SEKEM war von Anfang an ein Pionier in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und fördert ökologische und soziale Projekte, welche die lokale Gemeinschaft stärken. SEKEM besteht aus insgesamt drei großen Farmen, und wir können uns nicht vorstellen, dass es keine gepflasterte Straße zu diesem Ort gibt. Meine Kollegin Mariam und der Uber-Fahrer steigen aus und fragen jemanden. Wieder zurück, an der Apotheke links rein und dann linker Hand. Die Tore sind verschlossen, und so rufen wir den Imker Islam Siam an, der uns sowohl die Farm als auch das Bienen-Projekt zeigen wird. Wir müssen noch weiter und siehe da, es gibt eine gepflasterte Straße und ein großes Eingangstor zur Hauptfarm. Beeindruckt von der Stille und dem Grün um uns herum machen wir erste Fotos, während wir auf den Imker warten.


Obwohl wir über die altägyptische Lamarckii-Biene recherchieren, lassen wir uns die gesamte Farm zeigen. Das ist wichtig, damit wir verstehen, aus welchem Kontext das Projekt entstanden ist und wie es heute betreut wird. Insgesamt laufen wir an diesem Tag sieben Kilometer über das Gelände. Wir kommen am Medical-Center vorbei, in dem nicht nur die Angestellten der Farm, sondern auch Menschen aus den umliegenden Gemeinden betreut werden. Alles ist sauber und leise dort, ganz im Gegensatz zu den oft ärmlichen Verhältnissen in ägyptischen Krankenhäusern. Wir gehen direkt auf ein Gelände zu, in dem die SEKEM-Schulen untergebracht sind.


In Ägypten steigt das Bewusstsein für Menschen mit Beeinträchtigungen


Monika Bremer, Mitte, mit Ausbilder und Schülern der Metallwerkstatt
Monika Bremer mit Ausbilder und Schülern der Metallwerkstatt

Neben einer Regelschule bis zur 10. Klasse gibt es etwas, was in Ägypten sonst selten ist: Berufsausbildungsschulen. Für zukünftige Schreiner, Elektriker oder Schlosser beispielsweise. Die Ausbildung dauert drei Jahre, umfasst Theorie und praktische Ausbildung und bietet Perspektiven. Die Absolventen erhalten entweder eine Anstellung auf der Farm oder können sich am freien Arbeitsmarkt nach einer Stelle umsehen. Wir besuchen auch die Kunstlehrer, die uns stolz die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler zeigen. Holz- und Textilarbeiten sind besonders eindrucksvoll und auch für den späteren Alltag hilfreich. Für vierzig Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es eine Schule. Wir schauen beim Kerzenziehen zu und sprechen mit einer Betreuerin über die zunehmende Sensibilisierung in Ägypten für beeinträchtigte Menschen. Noch vor wenigen Jahren war das Wort Inklusion ein Fremdwort, doch inzwischen gibt es mehrere Initiativen. Auch die Familien gehen offener mit dem Thema um und verstecken ihre Kinder mit Behinderungen nicht mehr.

Traditionelle Bienenstöcke für europäische oder hybride Bienenvölker.
Traditionelle Bienenstöcke für europäische oder hybride Bienenvölker.

Nach einem Spaziergang durch Felder erreichen wir das Open-Air-Theater und die Cafeteria und gehen weiter Richtung Bienenstöcke. Allerdings sind das noch Bienenstöcke und Bienenvölker, wie sie uns aus Europa bekannt sind. Es ist heiß und wir gehen in Richtung Shop. Eigentlich nur, um Wasser zu kaufen. SEKEM ist aber Lieferant der Bio-Produkt-Marke ISIS, und so landen Black-Seed-Honig, Datteln aus Siwa, Dattel-Kokos-Snacks und Tee in unseren Rucksäcken. Weil wir vom Laufen durch die immer noch warme Sonne müde sind, ruhen wir uns in der Kantine bei einem leckeren Mittagessen aus. Es gibt Reis, Huhn, Gemüse, Molohia (grüne Sauce), Salat und frisches Wasser. Lecker. In der Cafeteria treffen wir nicht nur Angestellte, sondern auch zahlreiche Gäste. Die SEKEM-Farm verfügt über ein Gästehaus, das im Jahr 2020 bereits 32 Einzel- oder Doppelzimmer anbieten konnte. Ruhe vom Lärm der großen Stadt und frische Luft gibt es mit dazu.


Aus der nahegelegenen Produktionsstätte duftet es nach Kräutern – Kamille, Salbei und Minze


Der Duft der frischen Kräuter vermittelt ein Wohlfühl-Erlebnis wie in einem Spa. Dennoch sind wir müde und fahren dann mit dem Auto einige Minuten auf die ehemalige SEKEM-Hauptfarm. Dort erwarten uns wieder großzügige Felder, ein gefühlt riesiges Freilaufgehege für Hühner und endlich auch die Lamarkii-Bienen. Traditionell werden die altägyptischen Bienen in Tonröhren gehalten. Weil das allerdings umständlich ist, hat SEKEM eine Mischung aus europäischen Bienenstöcken und Röhren entwickelt. Der Imker Islam zündet als erstes ein Gewebe an, um mit dem entstehenden Rauch Pheromone zu produzieren, welche die Bienen beruhigen sollen. Meine Kollegin Mariam bekommt einen Imkerhut und darf mit der Kamera ganz nah an den Eingang der Bienenstöcke.


Ich bin skeptisch und beeindruckt und halte mich dezent im Hintergrund. Wir dachten, dass dieses bereits ein tolles Erlebnis sei, doch wir wurden noch viel mehr überrascht. Islam öffnete den ersten Bienenstock und nahm eine Wabe heraus. Mariam spricht nicht nur fließend Arabisch und hörte gespannt den Erklärungen des Imkers zu. An der Uni hat sie auch Videoproduktion gelernt. Ich schau ihr bewundernd zu denke mir, dass so aus der Nähe ganz unglaublich spannende Bilder und Videos entstehen müssen. Die Merkmale der Bienen, ihre Arbeit in den Waben, die Königin des Bienenvolkes und die verschiedenen Farben der Waben und vieles mehr erfahren wir bei diesem Besuch.


„Sie hat Angst, ich locke sie mit Honig"


Foto- und Videodokumentation mit Imker Siam und Mariam
Foto- und Videodokumentation mit Imker Siam

Mariam kommt so nah an die Waben heran, dass sie mit dem Finger direkt aus der Wabe den Honig heraus probieren kann. Der Imker merkt, dass mir die Bienen nicht ganz geheuer sind. „Sie hat Angst, ich locke sie mit Honig" sagt er zu Mariam und kommt mit einer Wabe auf mich zu. Mit viel Mut und noch mehr Respekt nehme ich dann mit dem kleinen Finger tatsächlich einen Tropfen Honig aus der Wabe. Köstlich. Und stolz bin ich auch. Nachdem ich diese Mutprobe bestanden habe, bekomme ich dann von einem Mitarbeiter auch einen Imkerhut und erlebe dann die Bienen ebenfalls hautnah. Ein sehr beeindruckendes und für mich erstmaliges Erlebnis. Der Besuch endet mit einem Interview, in dem Islam nochmal sein Wissen über die ägyptischen Bienen und das SEKEM-Projekt zusammenfasst.


Bevor wir an der „Universität für nachhaltige Entwicklung" in Heliopolis Angela Hofmann treffen, fahren wir noch über den dritten Farmbereich. Mariam hat noch genug Energie, um den Kühen einen Besuch abzustatten, ich bleibe müde im Auto sitzen. Nach einer Stunde etwa, diesmal nicht über Sandwege, sondern über gepflasterte Zufahrtsstraßen, erreichen wir die Universität. Frau Hofmann ist an der Initiative zur Rettung der altägyptischen Biene federführend beteiligt. Sie erzählt, dass es vor etlichen Jahren bereits einen Versuch gab, die Vorteile der ägyptischen Biene mit denen der europäischen Biene zu vereinen. Man versprach sich eine gegen die Varroamilbe resistente und dennoch ertragreiche Honigbiene. Weil man sich den Bienen selbst überlassen hatte, erhielt man jedoch krankheitsanfällige Bienen, die nur wenig Honig gaben. Von den noch vor zehn Jahren existierenden 100.000 Lamarckii-Bienenvölkern gibt es heute nur noch etwa 1.000 Völker. Ein neu gegründeter Bienenverein in Kairo und Umgebung sowie Überlegungen zum Erhalt der Genetik der Lamarckii-Biene soll das Überleben der Bienen retten. Wir erfahren die Hintergründe des Projektes und verlassen die Heliopolis-Universität mit dem Wissen, welche Fragen wir dem Experten, Günter Friedmann, über die Lamarckii-Biene im kommenden Interview zu stellen haben.


Neben der hautnahen Begegnung mit den ägyptischen Bienen hat mich besonders die Ruhe und das Grün auf der Farm beeindruckt. Obwohl so ein Recherche-Tag viel Vor- und Nacharbeit erfordert, ist er eine gelungene Abwechslung zum Texte schreiben im Homeoffice. Ich freue mich auf die noch anstehenden Interviews und Gespräche und auf die dann folgende Reportage.


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