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Autorenbild@Nika

Grüße vom Vater aus Gaza

Aktualisiert: vor 4 Stunden

Es ist Montag, der 7. Oktober 2024 - ein Jahr nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Als freie Journalistin, aber vor allem als Kulturmanagerin im Nahen Osten, bekomme ich hautnah mit, was sich in diesem Jahr verändert hat. Scrolle ich morgens durch die News, muss ich mit ansehen, wie sich die Länder, in denen ich Freunde und Teamkollegen habe, alle gegenseitig beschießen. Selbst Beirut wird nicht verschont, ein ehemaliger Sehnsuchtsort in der „Schweiz des Nahen Ostens". Ob meine Teamkollegin von dort unversehrt ist, erfahre ich über Social Media oder ich schreibe sie direkt an. Die meisten posten regelmäßig updates, dann wissen wir, es ist soweit es geht erstmal alles in Ordnung. Von Lilas habe ich jetzt einige Tage keine Rückmeldung. Das kann daran liegen, dass sie keinen Strom oder kein Internet hat, dass sie Hilfe leistet oder mit dem inzwischen kaum noch vorhandenen Alltag beschäftigt ist. An Team-Meetings kann sie seit zwei Wochen nicht mehr teilnehmen, der Bandwettbewerb für Libanon ist „on hold".


Würde sie sich jetzt weiterhin mehrere Tage nicht melden, würden wir beginnen, ihr Umfeld nach ihr zu befragen. Zuerst diejenigen Freunde, die mit ihrer Tätigkeit in unserem Team zu tun haben, beispielsweise Bands. Kommen die nicht weiter, werden engere Freunde und letztendlich die Familie kontaktiert. Die Gemeinschaft hat hier - auch aus der Not heraus - einen ganz anderen Stellenwert als ich es aus Deutschland gewohnt war. Ich erinnere mich an das Jahr 2013, als ein Freund nicht mehr ans Telefon ging und quasi verschwunden war. In schwierigen Zeiten, oder wenn bekannt ist, dass es jemandem nicht gut geht, wird hier niemand geghostet. Ich bekam nach wenigen Tagen einen Anruf von einem Bandkollegen, ob ich wisse, wo der Freund sei und ob er sich bei mir gemeldet hätte. Als ich das verneinen musste, fingen die Bandkollegen an, seine typischen Cafés abzufahren und nach ihm zu suchen bis sie schließlich mit Arbeitskollegen und der Familie Kontakt aufnahmen.


Bei den meisten ist das nicht notwendig, denn über die Sozialen Medien sind die Menschen ziemlich präsent. Yaron - siehe auch meinen Artikel zu Lilas und Yaron - unternimmt verzweifelte Versuche, mir zu zeigen, dass es tatsächlich das Militär und die Regierung Israels sind, die für das ganze Debakel verantwortlich sind. Und dass es auch in Israel Menschen gibt, die nicht nur gegen den ganzen Krieg sind, sondern humanitäre Hilfe für Palästinenser leisten und protestieren und versuchen, noch mehr Blut zu verhindern. Gaza ist in den Medien im Moment fast vergessen. Saudi Arabien und die Golf-Staaten sind noch nicht direkt betroffen, aber im Team-Meeting war das nicht wirklich lustig gemeint, als mein Kollege aus Bahrain meinte „Hoffentlich kann der Band-Wettbewerb noch vor dem dritten Weltkrieg stattfinden". Die US-Marine steht in Position, und auch Israel hat vor dem Libanon ihre Flotte positioniert.


Gaza ist plötzlich ganz nah


In Kairo vor Ort ist im Alltag von all dem und vom Tag des 7. Oktober nicht viel zu merken. Aber es gibt eine Ausstellung im Stadtteil Maadi im Darb15, einem kleinen Kulturzentrum im Souterrain eines Hauses in einer Nebenstraße. Das Thema lautet „Gaza Habibti" - „Gaza, meine Liebe". Wir wussten, dass es um eine Fotoausstellung mit Bildern palästinensischer Fotografen geht. Es war ein Abend mit viel Staunen und auch etwas Unbehagen. Das Kulturzentrum besteht nur aus einem mit Zeltfahnen bedeckten Eingang und zwei kleinen Räumen. Der erste Raum zeigt die Fotografien, im kleineren, zweiten Raum werden Videos von Menschen aus Gaza gezeigt.

(c) Abdulrahman Zaqot | Gaza in Rafah an der Grenze zum Sinai
(c) Abdulrahman Zaqot | Gaza in Rafah an der Grenze zum Sinai

Erwartet hatten wir typische Kriegsbilder mit Zerstörung und Verletzten. Stattdessen finden wir Bilder der Hoffnung und der Freude, kurze Momente in all diesem Elend und sind mehr als überrascht. Leider leben die meisten der abgebildeten Personen nicht mehr, und ihre Bilder sollen in Erinnerung bleiben, damit die Menschen und die Geschichten aus Gaza nicht vergessen werden.


Mit Salama Younis
Mit Salama Younis

Wir haben die Gelegenheit, mit zwei Fotografen zu sprechen - mit Abdulrahman Zaqot und Salama Younis. Abdulrahman zeigt uns sein Bravourstück, das im Eingangsbereich hängt. Eine Aufnahme aus Rafah direkt an der Grenze zum Sinai. Stromkabel dienen zum Schwung holen, um über die Grenze zu gelangen. Wir wissen nicht, was wir sagen sollen. Wir wohnen auf der anderen Seite. Und es fühlt sich unwirklich an, mit einem jungen Mann zu sprechen, der diese Bilder aus Gaza machen konnte. Er war tatsächlich dort. „Komm mit", sagt er und geht mit uns in den Hauptraum. Dort hängen unzählige Polaroid-Bilder von Verstorbenen. Eines nimmt er in die Hand. „Das war mein Freund. Er war Journalist." Ich lasse mich vor den vielen fremden Gesichtern fotografieren und bin unsicher, was ich dabei denken oder fühlen soll. Sprachlosigkeit, dem so nah zu sein. Und Hilflosigkeit, dem so untätig gegenüberstehen zu müssen.


Tasnim und ihre Schwester sind auch in Rafah über die Grenze gelangt. Sie studieren Medizin und Ingenieurwesen, jetzt an der Universität in Kairo. Tasnim spricht uns an, weil sie uns Deutsch sprechen hört. Sie erzählt, sie wären 40 Tage in Rafah gewesen, bevor sie nach Ägypten kamen. Wie sie das genau geschafft haben, hat sie nicht erzählt. Es kursieren aber Gerüchte, dass es Schlepper gibt, die Menschen aus Gaza gegen Bezahlung nach Ägypten brächten. Das aber sind, wie gesagt, Gerüchte.



Der Vater aus Gaza hat mir alles Gute gewünscht


Fasziniert, dass wir Deutsche und Besucher der Ausstellung sind, ist auch die Familie von Dala. Während ich in den Ausstellungsraum zurückgehe, kommt meine Freundin etwas verwirrt auf mich zu. „Der Vater in Gaza hat mir gerade alles Gute gewünscht", sagt sie. Das sei echt ein merkwürdiges Gefühl, denn eigentlich müsse es ja umgekehrt sein. Ich lerne Dala und ihre Familie kennen. Wieder Menschen aus Gaza. Dala ist im Krieg geboren und jetzt 10 Monate alt. Die Familie zeigt mir auf dem Handy Bilder aus dem Krankenhaus. Die ältere Schwester hält sich auf dem Foto die Ohren zu, denn es gab während der Geburt Bombenalarm. Der Vater zeigt sein Haus in Gaza Stadt vor und nach einem Angriff und berichtet, dass zahlreiche Menschen in den Schutt zurückgekehrt seien, um Vermisste zu suchen und die Häuser wieder aufzubauen. Auch ich soll mit dem Vater der Mutter, also Dalas Opa, telefonieren und spreche mit einem mir fremden, freundlichen Mann, der mir fröhlich zuwinkt und der von mir nicht mehr weiß, als dass ich eine Deutsche auf einer Ausstellung bin. Es gibt ein bisschen Smalltalk. Ob es ihm gut geht, dass er eine hübsche Tochter und Enkelin hätte und viele Grüße und alles Gute. Er freut sich sicher, dass es seiner Familie gut geht, aber warum er sich freut, mich zu sehen, ist mir ein Rätsel. Die ganze Situation war für mich zu überraschend und überwältigend, so dass ich dem Vater keine weiteren Fragen gestellt habe.


Wir alle sprachen mit der Familie und hörten aus dem Alltag aus Gaza. Wir erfahren, dass Dalas Vater Krebs hatte, weil er bereits vor Jahren auf eine Uran-Munition getreten war. Seine Hand ist bis heute verletzt. In Ägypten leben sie bei Verwandten. Das Vermissen von Menschen ist in Gaza Alltag geworden, und es gibt niemanden mehr, den man nach dem Verbleib fragen könnte. Ansonsten ist Gaza Ägypten sehr ähnlich. Die Menschen sprechen dieselbe Sprache, die Wohnungen, die wir gezeigt bekommen, sehen von außen und auch bezüglich der Einrichtung aus wie hier in Kairo um uns herum. Und die Kinder, die herumtoben oder sich auf der Ausstellung langweilen, sind von ägyptischen Kindern nicht zu unterscheiden.

(c) Salama Younis | Badespass
(c) Salama Younis | Badespass

Der Fotograf Salama Younis zeigt mir sein Foto vom Strand von Gaza, an dem jetzt Menschen leben und nicht mehr sorglos gebadet wird. Spaß beim Baden haben aber die beiden Jungen auf dem Foto, die in einer Waschschüssel sitzen und sich im Wasser abkühlen, dass zuvor zum Wäsche waschen genutzt wurde. Die Leitung, die auf dem Bild zu sehen ist, ist eigentlich eine Wasserleitung. Funktioniert sie nicht, wird das Wasser in den weißen Eimern angeschleppt.


Einige Besucher beäugen uns argwöhnisch


Schulkinder aus Gaza
Schulkinder aus Gaza

Wir waren zu viert auf der Ausstellung, drei davon inklusive mir Deutsch. Und ich hatte das Gefühl, dass das nicht jeder gut fand. Mit Mohammed von „Untold Palestine", Organisator des Events, kam ich nur schleppend ins Gespräch. Obwohl wir feststellten, dass wir einen ähnlichen Blick auf die Dinge haben. Wenn wir Deutsch sprachen, wurden wir wie von Tasnim oder Dalas Familie begeistert, von anderen aber eher argwöhnisch beäugt. Das Gespräch suchten nur wenige. Und die junge Frau mit Palästinensertuch, die auf mich zukam, hatte dann auch gleich eine Rüge für mich. Ich trank eine Pepsi Light, denn ich liebe Getränke mit Sprudel, und alle anderen Softdrinks sind mit Zucker.


Leider könnte man das als kulturell unsensibel einstufen. Gedankenlos würde ich es nennen. Ich wurde gefragt, ob ich es denn wohl passend finden würde, auf so einem Event eine Pepsi zu trinken. Ob ich denn nicht wisse, dass Pepsi einer der größten Unterstützer Israels und für Waffenlieferungen sei? Ehrlich gesagt - nein. Ich bedankte mich aber, dass sie mich darauf aufmerksam gemacht hatte. Und dann wurde mir auch sehr deutlich der Weg zum Mülleimer gezeigt, wo ich die Pepsi-Dose entsorgen musste. Das empfand ich jetzt ein wenig als übergriffig, kam mir aber gleichzeitig auch dumm vor, dass mir das aus Gedankenlosigkeit passiert war. Ihr Argument war, dass man alles tun müsse, um Gaza zu unterstützen. Es gäbe alternative Produkte.

PepsiCo erklärt auf seiner Internetseite folgendes: PepsiCo engagiert sich für humanitäre Hilfe in Israel und Gaza, indem das Unternehmen auf die Sicherheit und das Wohlergehen seiner Mitarbeitenden achtet und schnelle Unterstützung für die Betroffenen leistet. Die PepsiCo Foundation hat eine Spende von 1 Million US-Dollar für Hilfsorganisationen bereitgestellt und Mitarbeiterbeiträge für die Region verdoppelt, um gemeinsam über 3 Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern zu sammeln.

PepsiCo ist aber durch seine Beteiligung an Sodastream, einem israelischen Unternehmen, das in den besetzten Gebieten tätig war, in den Fokus internationaler Kritik geraten. Wirtschaftliches Engagement wird häufig politisch bewertet. Daher bei vielen Menschen diese Haltung gegenüber US-Unternehmen beispielsweise.


Der Kulturherbst als Chance


Während ich die Ausstellung verlasse, denke ich an meine Freunde in Beirut, an die Geschichten aus Gaza und die vielen Menschen, die in all dem Chaos ihren Alltag meistern. Ob Lilas sich inzwischen gemeldet hat? Ob sie sicher ist? Diese Fragen begleiten mich, ebenso wie die Bilder, die ich hier gesehen habe – Bilder, die trotz aller Zerstörung Momente der Freude und Hoffnung einfangen.


Es ist nicht schwer zu erkennen: Es sind nicht die Menschen, die den Krieg wollen. Und Ideologien lassen sich meines Erachtens nicht mit Waffen bekämpfen.


„Wenn sich Israel verteidigen muss – warum töten sie uns alle?“, fragte Dalas Vater. Eine Frage, die sich immer mehr Menschen in der Region stellen. Warum sind Kriege im Jahr 2024 noch notwendig? Es ist ein Machtspiel der Mächtigen, das die Unschuldigen trifft. Was wir tun können, ist Bewusstsein zu schaffen – für die Menschen, die in diesem Konflikt leben. Und genau das versuchen Kunst und Kultur und auch Journalisten zu leisten.


(c) Belal Al-Hams | Mohammed Salim Al-Najar, geb. 1933 in Salama (Jaffa), vertrieben nach Khan Yunis, in 2024 vertrieben nach Rafah
(c) Belal Al-Hams | Mohammed Salim Al-Najar, geb. 1933 in Salama (Jaffa), vertrieben nach Khan Yunis, in 2024 vertrieben nach Rafah

In Kairo beginnt diese Woche der Kulturherbst, der eine wichtige Plattform bietet, um Geschichten wie die aus Gaza sichtbar zu machen. Dazu gehört die CIAD-Ausstellung (ab 10.10.), das „Downtown Contemporary Art Festival“ (D-CAF) (ab 17.10.), das „Cairo Jazz Festival“ (ab 31.10.) und die Ausstellung „Forever is Now IV“ (ab 24.10.). Ahmed El Attar, der künstlerische Leiter des D-CAF, sieht in Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung. In einer Presseerklärung betonte er, dass das Festival in diesem Jahr besonders von den tragischen Ereignissen in der Region – in Palästina, Libanon, Jemen und Sudan – beeinflusst wird. Dennoch bleibt das D-CAF ein Zeichen der Hoffnung und Resilienz. Es zeigt, wie Kunst in schwierigen Zeiten nicht nur ein Mittel des Ausdrucks, sondern auch ein Werkzeug für den Dialog sein kann.


Ein besonderes Highlight des D-CAF ist die Zusammenarbeit mit der „MBC Academy for Training". Neun junge Fachleute aus der arabischen Welt werden geschult und in die Organisation des Festivals eingebunden. Solche Programme eröffnen jungen Künstlern neue Möglichkeiten, ihre Arbeiten international zu präsentieren und ein Bewusstsein für die Herausforderungen der Region zu schaffen. Auch Premieren wie „Taste Me“, eine ägyptisch-französische Co-Produktion, sowie weitere Performances aus Ungarn und Frankreich tragen dazu bei, lokale und internationale Perspektiven zusammenzubringen.


Seit 2014 besuche ich das D-CAF, und es war immer ein Ort der Begegnung, besonders im vergangenen Jahr. Künstler aus Palästina, Tunesien, Burkina Faso und Syrien gaben dem Festival eine internationale Vielfalt, die zeigt, wie Kultur Brücken bauen kann. Diese Emotionen begleiten mich, als ich die kleine Ausstellung „Gaza Habibti" in Maadi verlasse. Es ist schade, dass diese Ausstellung in einem so kleinen Rahmen stattfinden musste. Aber die Emotionen, die sie hinterlassen hat, sind umso größer.

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